Zwangsstörungen
Nur Gewohnheit, oder schon ein Zwang?
Jeder kennt sie, und jeder braucht sie: Gut eingeprägte, sich wiederholende Abläufe, die uns den Alltag strukturieren und erleichtern. Solche „fixen Rituale“, wenn wir beispielsweise nachschauen, ob die Türe abgeschlossen oder das Licht ausgeschaltet wurde, geben uns Sicherheit und Kontrolle. Diese Verhaltensweisen sind aber noch keine Zwangsstörung. Ab wann Sie unter einem Zwang leiden, und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, verraten wir in unserem Beitrag.
Zwangsstörungen erleben – ab wann ist mein Verhalten ein Zwang?
Erst, wenn gewisse Verhaltensweisen nicht vereinzelt und flüchtig, sondern hartnäckig und lang anhaltend auftreten, spricht man von sogenannten Zwangsstörungen. Die Betroffenen haben den Zwang, bestimmte Dinge zu tun und häufig zu wiederholen, ggf. auch nach einem bestimmten Muster. Die Handlung kann nicht willentlich beendet werden, obwohl die meisten sie selbst als sinnlos oder ungut erkennen. Sie vermitteln ihnen aber, zumindest vorübergehend, ein Gefühl von Sicherheit. Handelt es sich um ein Ritual, bei dem die Zwangshandlung in einer bestimmten Reihenfolge stattfindet und wird dieses unterbrochen oder kommt der Betroffene durcheinander, muss er wieder von vorne beginnen.
Beim Versuch, den Zwang zu unterdrücken, kommt es in der Regel nur zu einem Aufschub. Gegen den Zwang sind Vernunft und Wille machtlos, weil es beim Versuch, sich zu wiedersetzen, zu einer nicht auszuhaltenden inneren Anspannung und Angst kommt, die nur durch das Ausführen der Zwänge gelindert werden kann.
Solche zwanghaften Rituale können enorm zeitraubend sein und somit das ganze Leben bestimmen. Ein normaler Alltag wird unmöglich, mit beträchtlichen Einschränkungen in Beruf und im sozialen Umgang mit anderen Menschen.
Welche Zwangsstörungen gibt es?
Es werden Zwangshandlungen und Zwangsgedanken unterschieden. Beides sind psychische Erkrankungen.
Zu den Zwangshandlungen gehören z. B.:
- Reinigungszwang = Permanentes Putzen im Haushalt oder Waschen von Händen und Körper, welches durch eine panische Angst oder einem Ekel vor Schmutz, Krankheitserregern und Körperausscheidungen ausgelöst wird.
- Ordnungszwang = Aufräumen von Gegenständen nach bestimmter Symmetrie oder Regeln.
- Kontrollzwang = Mehrfaches Kontrollieren, ob z. B. die Türe verschlossen oder der Herd ausgeschaltet ist, ausgelöst durch die Befürchtung, aufgrund einer Unachtsamkeit eine Katastrophe auszulösen.
- Sammelzwang = Alles aufbewahren, aus Angst, etwas wegzuwerfen, das für den Betroffenen doch noch wertvoll oder nützlich sein könnte. Es fällt schwer, zwischen wichtigen Dingen und wertlosem Müll zu unterscheiden.
- Zwanghafte Langsamkeit = Für ganz alltägliche Handlungen wie z.B. Essen, Anziehen oder Haare Kämmen werden Stunden benötigt.
- Sprechzwang = Permanente Wiederholung bestimmter Worte und Sätze.
Das Verhalten einer Zwangsstörung dient vornehmlich zur Druckentlastung. Durch die zwanghafte Handlung nehmen Zweifel, Unruhe und Ängste ab. Trotzdem empfinden die Betroffenen keine Zufriedenheit, weil sie wissen, dass die Handlungen ihren Alltag und ihre Umgebung belasten und aus rein logischer Perspektive nicht zu rechtfertigen sind.
Zu den Zwangsgedanken gehören z. B.:
- Ständige Grübeleien = Notorische Gedankenschleifen drehen, ohne Entscheidungen zu treffen
- Zählzwang = Alltägliche Gegenstände (z. B. die Fliesen im Badezimmer) oder Wiederkehrende Ereignisse zu zählen.
- Zwangsbefürchtungen = Angst davor, dass den Betroffenen etwas Schlimmes passiert, z. B. eine Infektionen oder Ansteckung mit einer Krankheit.
- Zweifel = Permanentes in Frage stellen und Anzweifeln, ob Dinge zufriedenstellend erledigt wurden. Oft einhergehend mit einer negativen Einschätzung der eigenen Leistung.
Zwangsgedanken können auch aggressiv sein. Die Betroffenen haben Angst, jemandem etwas antun zu können, auch wenn sie sich innerlich stark gegen den Gedanken wehren und selbst vor ihm zurückschrecken. Solche Gedanken bedeuten aber nicht, dass sie tatsächlich ausgeführt werden. Da der Betroffene aber Angst davor hat, anderen zu schaden, werden meist als Sicherheitsmaßnahme Zwangshandlungen ausgeführt.
Wieso habe ich Zwangsstörungen?
Zwangsstörungen entwickeln sich meist im Verlauf der Kindheit, Jugend oder im jungen Erwachsenenalter. Bei der Entstehung spielen vermutlich mehrere Faktoren eine Rolle. Nicht selten treten Zwänge zusammen mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Tourette-Syndrom, Phobien, Suchterkrankungen oder Essstörungen auf. Bei vielen Menschen, die eine Zwangserkrankung entwickeln, kam es im Vorfeld zu einem einschneidenden belastenden Lebensereignis, aber auch eine genetische Veranlagung oder Erkrankungen des Gehirns können eine Rolle spielen.
Manche Menschen sehen selbst nicht, dass sie eine Zwangsstörung haben oder versuchen, ihre Zwänge zu verheimlichen. Je mehr sich die Erkrankung verschlimmert, desto mehr ziehen sich die Betroffenen aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Es kann also lange dauern, bis eine solche Erkrankung bemerkt wird. Unter Umständen lehnt der Betroffene auch Hilfe ab oder hat Hemmung, sich Hilfe zu holen, weil er sich für sein Verhalten oder seine Gedanken schämt.
Menschen, die an einem Waschzwang leiden, entwickeln häufig Hautprobleme, weil die natürliche Hautbarriere zerstört wird.
Zwangsstörungen sind auch eine Herausforderung für die Familie oder das nähere Umfeld. Sie wollen den Betroffenen nicht aufregen und lassen sich dadurch nicht selten in die Zwangshandlungen mit einbinden. Das verbessert anfänglich zwar scheinbar die Situation, verstärkt und stabilisiert aber auf lange Sicht das Zwangsverhalten. Daher ist es wichtig, die Handlungen nicht zu unterstützen. Diskussionen über die Notwendigkeit der Zwänge machen überhaupt keinen Sinn, sie machen die Situation für den Betroffenen nur schlimmer. Versuchen Sie stattdessen, den Betroffenen davon zu überzeugen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und holen Sie sich zur Unterstützung selbst Rat, z. B. in einer Selbsthilfegruppe. Nahe Angehörige können dem Betroffenen auch helfen, indem sie in die Behandlung mit eingebunden werden.
Auswege aus der Spirale
Zwänge entwickeln sich meist zu einer chronischen Erkrankung und werden ohne Behandlung immer schlimmer. Die Zwänge lassen sich auch nicht mit Willenskraft und Disziplin überwinden. Deshalb sollten Sie unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, sollten Sie unter einer Zwangsstörung leiden.
Idealerweise werden Zwangsstörungen mit einer kombinierten Therapie behandelt. Dazu gehört eine Kognitive Verhaltenstherapie (belastende Verhaltensweisen und Denkmuster erkennen und verändern), ein Reaktionsmanagement (Beschäftigung mit dem Zwang durch Konfrontation mit der auslösenden Situation, in Begleitung vom Therapeuten, mit dem Ziel die Situationen wieder kontrollierbarer und weniger einschränkend zu machen) und ggf. Psychopharmaka. Zusätzlich kann der Besuch in einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein oder die Auseinandersetzung mit den Zwängen, mit guten Informationen aus Büchern. Manchen Menschen helfen auch Entspannungstechniken.
Bei den meisten Betroffenen gelingt es mit guten Behandlungsmöglichkeiten, die Symptome auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.